Die Liebe des kleinen Pinsels

Ich stehe nur und warte. Zwischen vielen großen Pinseln, bin ich so klein und zart. Sie übersieht mich immer wieder. Sie nimmt immer die Großen, dicken. Drückt sie in die bunten Farben, vermischt sie und tanzt mit ihnen auf der Leinwand rum. Ich möchte auch so gerne mit ihr tanzen. Doch nun nimmt sie auch noch den Schwamm und den Spachtel, sie wischt und kratzt, groß und heftig. Ich sehne mich so danach auch eine Spur auf dem Bild zu hinterlassen, eine kleine klare Linie, eine kleine Fläche. Vielleicht eine Blume oder eine Person im Hintergrund. Ich sehne mich danach in Farbe zu baden und stehe hier nur rum und warte und warte.
Doch da, sie stoppt, geht ein paar Schritte zurück, betrachtet das Werk von allen Seiten. Sie wird ruhig, konzentriert und nun sucht sie, doch ich bin so klein, sie findet mich nicht. Doch dann schüttet sie alle Pinsel aus dem Glas, wühlt durcheinander und findet mich endlich.
Sie berührt meine Haare, sie sind sauber und weich, ohne Farbreste. Sie wählt eine dunkle Farbe, meine Linie soll hervorstechen. Vorsichtig setzt sie mich auf die Leinwand, zieht dünne Konturen, malt eine kleine Fläche aus. Mit mir setzt sie Punkte, meine Linien ziehen den Betrachter an. Nun ist das Bild fertig. Sie hat es entschieden. Meine letzte Handlung steht an, die Signatur, das Datum. Nun ist es fertig. Ich werde nun vorsichtig gereinigt, bis keine Farbreste mehr übrig sind und komme wieder in das Glas. Doch ich weiß, beim nächsten Bild, bevor es fertig ist, wird sie mich wieder zur Hand nehmen und ich werde wieder mit ihr tanzen. Bis dahin darf ich träumen.